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Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

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14-Jan-2010

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Revision 3.0
TU-134 Staffel

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Autor: Gerd Ritter   09.02.2017
Die Flugstaffel TU-134 (in den letzten Monaten dann in Angleichung an die Airbus-Flotte auch als Flotte bezeichnet) saß in der ersten Baracke, im vorderen Teil, hin zum Block F, und wurde lange Jahre von Flugkapitän Erich Metzger geleitet.
Erster Staffelleiter war dagegen der bekannte Flugkapitän Wolf-Dieter Sachse, oft auch als "Sachse 1" oder der "große Sachse" betitelt, da es einen weiteren Kapitän mit dem Namen Dieter Sachse ("Sachse 2") gab, der von der IL-18 dann auch auf die TU-134 kam und später Parteisekretär der Flugstaffel wurde (ein begeisterter Reiter). Echte Sachsen waren sie wohl beide nicht. Dieter Sachse 1 war wie Rolf Leonhardt von der Flugbetriebsinspektion  auch passionierter Freizeitkapitän auf den Berliner Gewässern.

 

Die Staffel entstand de facto im Oktober 1968 mit dem Eintreffen der ersten beiden TU-134 in Berlin-Schönefeld. Die DM-SCA (01. Okt.) und die DM-SCB (18. Okt.) Diese beiden Flugzeuge wurden allerdings noch von sowjetischen Besatzungen überführt.
Erst am 12. November 1968 erfolgte der erste Trainingsflug einer TU-134, der DM-SCB, mit dem deutschen Trainingskapitän Herrn Rolf Heinig (später Prof. Dr.-Ing an der Verkehrshochschule in Dresden).
Bereits vom 03. Aug. bis zum 19. Okt. 1968 erfolgte die Umschulung (type rating) eines Teams (Kollektivs) von deutschen Fluglehrern an der Höheren Fliegerschule der Aeroflot in Uljanowsk.

Diesen Lehrgang besuchten Herr Rolf Heinig (Delegationsleiter), Herr Wolf-Dieter Sachse und Herr Klaus Petzold, als Fluglehrer und als Lehrer für Navigatoren die Herren Wolfgang Thieme (später Stellv. des Direktors Verkehrsflug), und Eberhard Gündel. Als Dolmetscher fungierten die bekannten Damen Rita Redkodubski und Annemarie Knacke (später SLI).
Von Oktober bis Dezember 1968 lief dann bereits der erste "Umschulungslehrgang" für TU-134 Besatzungen in Berlin. Damit war für die INTERFLUG die Ära des Betriebes mit TL-Flugzeugen angebrochen. Bislang wurden ja nur Turboprop-Flugzeuge (PTL) des Typs AN-24 und IL-18 eingesetzt.
Es lagen bis dato also weder allgemeine Erfahrungen im Betrieb mit Turbinenluftstrahl-Flugzeugen (TL), noch mit Tupolev-Konstruktionen vor.

Die Entscheidung, die Instrukteure in Uljanowsk ausbilden zu lassen, entstand aus den Erfahrungen bei der Einführung der AN-24, welche die Herren Heinig, Sachse und Petzold bereits hinter sich gebracht hatten und somit an der Schule in Uljanowsk wie alte gute Freunde herzlichst begrüßt wurden.
Für Rolf Heinig war es bereits der vierte Umschulungslehrgang an dieser Einrichtung. So waren ihm die Lehrkräfte, Frau Sokowa (Aerodynamik), Herr Morgonow (Konstruktion/Zelle) und Herr Krjkow (Triebwerk) bereits sehr vertraut.
Während die deutschen Fluglehrer eine eigene Klasse bildeten, waren die Lehrer für Navigatoren der ungarischen Delegation angeschlossen worden. Alle deutschen Teilnehmer bestanden die Prüfungen mit "ausgezeichnet".

Das Theorie-Programm umfaßte unter anderem folgende Lehrfächer:

  • 48 Stunden Besonderheiten der Aerodynamik hoher Geschwindigkeiten und praktische Aerodynamik des Flugzeuges TU-134
  • 68 Stunden Konstruktion und Betrieb des Flugzeuges TU-134
  • 42 Stunden Funk- und Naviagtionsausrüstung des Flugzeuges TU-134
  • 30 Stunden Geräteausrüstung des Flugzeuges TU'-134

Die flugpraktische Ausbildung fand in einer eigenen Fluggruppe unter Leitung des sowjetischen Fluglehrers Herrn Gerassimow vom 1. Okt. bis 18. Okt. statt. Herr Gerassimow war ein auf Tupolev-Flugzeugen (TU-104, TU-124, TU-134) erfahrener Kapitän mit dem sich die kleine Gruppe bestens verstand.
Die Ausbildungsflüge führten u.a. nach Simferopol und Mineralnije Wody.
Es agb während der gesamten Ausbildung keinerlei Störungen oder Verzögerungen durch technische oder andere Probleme. Die sowjetische Seite nahm ihre Aufgabe außergewöhnlich ernst und professionel wahr.

Wieder zurück in Berlin nahmen die frischgebackenen TU-Instrukteure sofort ihre Arbeit auf und bildeten die ersten Besatzungen aus. Die Flugzeugführer kamen überwiegend von der AN-24 Straffel. Die Navigatoren von der IL-18.
Die theoretische Ausbildung wurde bis auf die Fächer Flugbetriebsanleitung (Herr Sachse) und Aerodynamik (Herr Petzold) von erfahrenen Kollegen aus der Flugtechnik durchgeführt, die ebenfalls in der Sowjetunion geschult worden waren.
Ein Flugbetriebshandbuch wurde bereits während der Ausbildung in Uljanowsk durch die Technische Dokumentationsstelle (TDS) der INTERFLUG vorbereitet und stand pünktlich zur Ausbildung in Berlin bereit.

Die drei deutschen Fluglehrer begannen dann im Januar 1969 mit der flugpraktischen Ausbildung der ersten Kommandanten auf dem neuen Flugzeugtyp TU-134, das dann später bei der INTERFLUG die Normalvariante der TU-134 genannt wurde (siehe Flugzeuge der INTERFLUG).
Die Kapitäne der ersten Gruppe waren die Herren Metzger, Streit, Gemeinhardt, Nembach, Wünschmann und Krüger.
Als 2, Flugzeugführer (Copiloten) wurden zunächst die Herren Langrock, Waurick, Schmidt, Weber, Zerbe und Fritzsch geschult.
Zu Navigatoren schulte man in der ersten Gruppe die Herren Albert, Weise, Naundorf und Tauchen.

Die Staffel hatte eine eigenartige Charakteristik und Ruf. Sie war nach der Ausmusterung der AN-24 im Jahre 1976 damit neben der IL-18 eine "Einstiegsstaffel", auf der Absolventen ihre ersten Schritte auf der "Linie" machten. Das langjährige Flagschiff der INTERFLUG, die IL-62, war das nie, obwohl sie bestimmt nicht schwieriger zu fliegen war als die TU-134 oder die IL-18. Sie war nur wegen der geringeren Anzahl der Landungen pro Flugzeit entsprechend ihrem Einsatz nicht das ideale Einstiegsmuster. Hinzu kam, daß der Anteil der SW-Flüge, denn nur diese kamen für Einsteiger in Frage, auf der IL-62 zu gering war.
Auf der TU-134 gab es darum auch die meisten jungen Kapitäne. Entsprechend weniger ruhig ging es auch zu.
Hinzu kamen die Qualitäts-Initiativen des Staffelleiters, wie z.B. der "Qualitätspaß" oder die Pflicht zur Flugauswertung (Debriefing nach Rückkehr in SXF), die doch immer für reichlich Diskussionen und Unruhe sorgten, den Status Quo stets in Frage stellten, ohne dabei aber über irgendwelche Grenzen springen zu können.

Da ging es dann bei den alten gestandenen Kapitänen auf der IL-18 und IL-62 schon bedeutend ruhiger und abgeklärter zu, was aber durchaus auch nicht immer ein Vorteil war.
Außerdem war die TU-134 wegen der negativen V-Form ihrer Tragflächen vor allem bei Seitenwind nicht unbedingt leicht zu fliegen.
Die Normalvariante hatte keinen Umkehrschub, sondern nur einen Bremsschirm. So waren Bahnen mit schlechten Bremsverhältnissen und Landungen mit starkem Seitenwind damit nicht vorzugweise die Domäne der TU-134.

Die TU-134 war die Flugstaffel mit den meisten Vorkomnissen und Unfällen (drei Totalverluste, alle auf dem Boden der DDR, dagegen IL-62: 2, IL-18: 1, A-310: 0).
Mindestens zwei der Totalverluste der TU-134 waren reine klassische Human Error Fälle (CRM), während alle anderen der INTERFLUG überwiegend technischer Natur waren. Der dritte Fall, einer TU-134 A, DM-SCM, in SXF wurde zwar als reiner technischer Fall gehandelt (Autoilot ließ sich angeblich bei der Landung nicht abschalten); es wird aber auch maßgeblich schlechtes CRM mit im Spiel gewesen sein.

Die Staffel wurde sehr viele Jahre von Flugkapitän Erich Metzger geprägt. Er setzte der Staffel maßgeblich seinen Stempel, seine Handschrift auf. So gab es unter Erich Metzger viele wegweisende Aktivitäten, wie die Cockpitkommissiom, die das unfallträchtige Wirrwar der verschiedenen Cockpits der TU-134 mindern sollte und auch einen gewissen Erfolg erzeilte.
Mit der Schaffung des "Qualitätspasses" wurde ein aktiver Beitrag zur Qalitätssicherung des operationalen Betriebes angestrebt. Ein Trend der erste heut bei vielen Airlines unter dem besser klingeneden Namen "Flight Operations Quality Assurance" (FOQA) im täglichen Betrieb Einzug hält.
Auch das De-Briefing (damals als Flugauswertung bezeichnet) war unter Erich Metzger Standard in der TU-Staffel. Viele Flugbetriebe ringen noch heute darum, etwas ähnliches im täglichen Betrieb für jeden Flug einzuführen. Meist gibt es nur De-Briefings für Trainingsflüge mit lockeren Vorgaben.

Erich Metzger versuchte sich stets nach allen Seiten zu engagieren, doch er hatte auch schnell ein Gespür, wenn es in eine bestimmte Richtung sinnlos war, was man ihm oft vorwarf. Nur wie hätten seine Kritiker unter diesen Bedingungen gehandelt und wie wären sie dabei handlungsfähig geblieben. Das blieb er immer. Es war immer eine Gratwanderung.
Die Sache wurde noch kritischer und anstrengender als man ihm dann noch einen sogn. Polit-Stellvertreter an die Seite setzte. Einen ehemaligen Polit-Offizier der Grenztruppen der DDR, der überall seinen Senf zugeben durfte.

Unverständlich bis heute, warum Erich Metzger nie einen großen Orden bekommen hat, wenn man sich einmal die Listen der Ausgezeichneten bei INTERFLUG so ansieht.

Laut Flugbetriebshandbuch (FBH) war den Flugstaffeln (Flotten) folgende Aufgaben übertragen:

Die Flotten
Im Betriebsteil bestehen Flotten für jeweils einen Flugzeugtyp.

  • Die Flotten sind verontwortlich für: die Durchführung der Flüge unter Einhaltung der Weisungen der Direktion Flugbetrieb und unter Beachtung der internationalen und nationalen Bestimmungen für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Flüge;
  • die Gewährleistung und Kontrolle der erforderlichen Qualifikation des fliegenden Personals.


Dem Staffelleiter standen zu diesem Zweck zwei fliegerische Stellvertreter (davon einer für Ausbildung), ein Oberinstrikteur für Navigatoren, ein Staffel-Ingenieur, eine Sekretärin, zwei Einsatzplaner (Grundsatzplan) und in späteren Jahren dann noch ein Polit-Stellvertreter zur Verfügung.
Zum erweiterten Kreis der Staffelleitung zählten auch die Gruppenleiter, der Pateisekretär und der Gewerkschafts-Vertrauensmann des FDGB.

Die Flugstaffel war, wie die anderen Flugstaffeln auch, in Fluggruppen unterteilt, zumeist in den letzten Jahren wohl sechs Gruppen, die jeweils von einem Gruppenleiter geleitet wurden.
Der Gruppenleiter war ein Flugkapitän, der auch Fluglehrer und Checker war. Ihm zur Seite stand dann als sein Stellvertreter ein weiterer Fluglehrer, der aber auch eine eigene Besatzung hatte, die sogn. Instrukteursbesatzung,. In jeder Fluggruppe gab dann etwa 6 Besatzungen, bestehend aus Kapitän, Copilot und Navigator und ggf. die in der Ausbildung befindlichen Schüler (students, trainees).
Es wurde immer angestrebt, diese über einen gewissen Zeitraum auch als sogn. "feste Besatzungen" zusammen einzusetzen, was jedoch operativ selten ausreichend gelang.
Dem Gruppenleiter standen außerdem die üblichen "gesellschaftlichen Käfte" in der DDR zur Seite, bestehend vor allem aus Parteigruppensekretär und Gewerkschaftsgruppen-Vertrauensmann. Weitere "Kräfte" ergaben sich aus der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", der Neuerer-Bewegung, der "Freien Deutschen Jugend" (soweit es jüngeres Personal im Bestand gab) und ggf. anderen "Kräften", wie GST oder DTSB.

In den Fluggruppen spielte sich also auch das vielgepriesene "gesellschaftliche Leben" ab. Hier wurden an den sogenannten "Gruppentagen" (früher einmal alle 4 Wochen, später dann nur noch alle 6 Wochen) die erforderlichen Pflichtbelehrungen erledigt (siehe Vorgaben auf der Seite "Struktur des BT Flugbetrieb"), die Besprechungen in den Kategorien, das Parteilehrjahr und die Schulen der sozialistischenen Arbeit durchgeführt. Letztere durfte später eingespart werden, da man das für alle obligatorische Parteilehrjahr wohl als völlig ausreichende politische "Bildung" ansah.
Es gab dann die "Bekanntmachungen" des Gruppenleiters und der anderen "gesellschaftlichen Kräfte", die "Besprechungen in den Kategorien" (Kapitäne, Copiloten, Navigatoren), sowie kurze Versammlungen im Aufgabenbereich der gesellschaftlichen Organisationen (z.B. Gewerkschaftsgruppenversammlung).

Die Gewerkschaft war z.B. der Träger der zentral in der DDR vorgegebenen Bewegung "sozialistischer Wettbewerb".
Letztendlich hatte nahezu jeder in der Gruppe eine Funktion und wenn er nur den Beitrag der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Feundschaft" kassierte (das waren wohl nur 12 Mark im Jahr, doch selbst deren Verwendung war mir immer schleierhaft).
Blieben wirklich welche unbedacht übrig, dann gab es ja immer noch die Arbeitsgruppen, die auf mehr oder weniger "freiwilliger" Basis bestimmte Probleme der Flugstaffel oder gar des gesammten Flugbetriebes zu lösen hatten.
Typischer Spruch dieser Zeit: "Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bilde ich einen Arbeitskreis." So war schlußendlich jeder irgendwie beschäftigt und "von der Straße weg". -:)

Gruppenleiter der TU-134 Staffel waren unter anderem die Flugkapitäne:
Siegfried "Sieg" Waurick (später stellv. Staffelleiter f. Ausb.)
Walter "Waldi" Nembach (auch mal stellv. Staffelleiter)
Günter "Julius" Fucik (aus der Gerwerkschaftsarbeit)
Dieter Sachse II (lange auch als Parteisekretär tätig)
Konrad "Konni" Schröter
Christoph Sommer
Werner Schmidt
Friedhelm "Freddi" Stange

In den letzten Jahren (ich glaube ab 1987) vor dem Ende der INTERFLUG wurde die Staffel von Flugkapitän Hans-Jürgen Voigt geleitet.

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